Rudolf Karel
[1880-1945]

Rudolf Karel

Rudolf Karel wurde am 9.11.1880 in Pilsen geboren. Im Jahr 1894 zog seine Familie nach Prag, da sein Vater Ing. Josef Karel dorthin versetzt worden war. Der junge Rudolf setzt dort am deutschen Gymnasium in der Štěpánská-Straße sein Studium fort.
Nach dem Abitur studierte er Jura an der Karlsuniversität, vor allem komponierte er aber und durfte schließlich am Konservatorium inskribieren – allerdings unter der väterlichen Bedingung, er würde auch weiterhin ordentlich Jura studieren. Aber die musikalische Begabung des letzten Dvořák-Schülers setzte sich am Ende durch, und das Jurastudium ist unvollendet geblieben.
Er hatte es nicht leicht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand Karel allmählich den Weg zur Selbständigkeit und fing an sich als Komponist durchzusetzen. Im Jahre 1908 heiratete er die Tochter von Zikmund Winter [1846-1912, Schriftsteller, Historiker, Archivar und Lehrer, Weggefährte von Alois Jirásek, von dem etliche Schinken=historische Romane stammen, Pflichtlektüre im Schulunterricht, P.A.].

Als der 1. Weltkrieg ausbrach, verbrachte er gerade seinen Russland-Urlaub. Er wurde verhaftet und der Spionage für Österreich beschuldigt, es gelang ihm aber die Flucht. Dank der Hilfe seiner Freunde konnte er an russischen Musiklehranstalten unterrichten und komponieren. Als tschechoslowakischer Legionär dirigierte er das Symphonische Orchester der Tschechoslowakischen Armee in Russland. In einem Eisenbahnwaggon aus Jekaterinoslaw nach Wladiwostok unterwegs komponierte er das symphonische Gedicht „Dämon“ als musikalischen Ausdruck des Prinzips des Bösen in dessen Eigenschaft eines Dämons der menschlichen Leidenschaft. Das Werk erntete Erfolg daheim wie in Ausland.
Mit den russischen Legionären kehrte Rudolf Karel im Jahr 1920 nach Prag zurück, aber das symphonische Legionärsorchester fand in Prag keinen Bestand. Rudolf Karel findet Beschäftigung im Archiv des neugegründeten Museums des Widerstandes [“Památník odboje“, wörtlich „Gedenkstätte des Widerstandes“ P.A.]. Die Arbeit kostet ihn nicht übermäßig viel Energie, es bleibt ihm sowohl Kraft als auch Zeit zum Komponieren übrig. Es entsteht der Liederzyklus V záři helénského slunce [Im leuchtenden Schein der hellenischen Sonne] mit Texten von J. S. Machar [1864-1942, Dichter und Politiker, erst –vor der Staatsgründung – Masaryks Freund und Weggefährte, in den 20er Jahren dessen politischer Gegner, ironischer Widersacher des sinnentlehrten zur Schau getragenen Patriotismus, P.A.],
Karel schreibt den Männerchor Zborov [Ortsname einer Gemeinde in Galizien – heute Ukraine – berühmt geworden durch eine Schlacht im Juli 1917 im Rahmen des Kerenski-Invasionskrieges gegen die in Entstehung begriffene Sowjetunion; am Sieg der Invasionsarmee war wesentlich und zum ersten Mal die Tschechoslowakische Legion in Russland beteiligt, somit das erste Auftreten der noch nicht existierenden Republik in der militärischen und politischen Weltgeschichte, im symbolischen Wert etwa vergleichbar mit dem Begriff „Wartburgfest“ nach den Befreiungskriegen 1817 für die Herausbildung eines deutschen Staates, P.A.] mit dem Text von Rudolf Medek [1890-1940, tschechischer Schriftsteller und Soldat, Legionär, Teilnehmer an der Schlacht von Zborov – s.O. – und Direktor der Prager „Gedenkstätte des Widerstandes“, s.O. P.A.] sowie weitere Kompositionen.

Im Jahr 1923 erhält er die Professur am Prager Konservatorium. Die Schilderung der bulgarischen Volksmusik aus dem Mund eines bulgarischen Studenten bewegt Rudolf Karel zu einer Studienreise nach Bulgarien. Als Ergebnis sind tschechisch-bulgarische musikalische Kontakte geknüpft worden, und es folgte ein dreitägiges Festival bulgarischer Musik in Prag. Der bulgarische König verlieh Rudolf Karel den bürgerlichen Verdienstorden.
Im Jahre 1933 wurde erst in Brünn und dann in Prag das Schlüsselwerk Karels uraufgeführt – die Oper Smrt kmotřička [„Des Gevatters – wörtlich des Patchens – Tod“] – unter dem Taktstock von O. Ostrčil und mit [der Sängerin] M[arta] Krásová in der Hauptrolle. Rudolf Karel unterrichtet und komponiert fleißig; von kleinen Liedkompositionen bis hin zur Oper.
Im Jahr 1942 fängt er mit der Arbeit an der Oper Zkrocení zlé ženy [Der Widerspenstigen Zähmung] an. Vorher noch wird jedoch die Tschechoslowakei okkupiert. Für Rudolf Karel heißt es, dass er sich von 1941 an der Arbeit im Untergrund beteiligt. Er ist als Verbindungsmann einer ganzen Reihe illegaler Gruppierungen tätig, zu denen auch die politisch bedeutende Gruppe Kvapil - Krofta – Lány zählt [das sog. „Vorbereitende nationale Revolutionskommitee“, ein erfolgloser nichtkommunistischer von der Londoner Exilregierung ins Leben gerufener Nachrichtendienst, gestützt auf bürgerliche Intellektuellenkreise im Protektorat, 1944 verraten und von den Nazis liquidiert. P.A.]. Er hilft dabei, Studenten für Forstarbeiten bei Nový Jáchymov einzusetzen, damit ihnen der „Totaleinsatz“ im „Reich“ erspart bleibt. Bei der Rückkehr aus Nový Jáchymov wird er am 19. März 1943 in Prag verhaftet. Die Gestapo verließ sich auf sein Alter und rechnete damit, dass er nicht aushalten und reden wird. Er redete nicht. Nach den Verhören in Petschka-Palais ist er beinahe zwei Jahre lang ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis von Pankrác eingekerkert gewesen. In seinem ersten Brief von Pankrác schreibt Rudolf Karel an seine Kinder: „Teure Zorečka und mein lieber Ivo. Es tut mir so leid, dass wir nicht voneinander Abschied nehmen konnten. Der Gedanke an euch und an meine wunderschöne Heimat gibt mir die Kraft durchzuhalten. Bewahrt euch die Tapferkeit und den Glauben daran, dass die Passion dieses Landes ein Ende finden wird, dass die Zeit einer ruhmreichen Auferstehung kommt, für die kein Opfer zu groß gewesen sein wird. Euer Papa."
Künstlerische Arbeit als Zufluchtsort im nazistischen Kerker zu wählen, bedeutet die Unsicherheit und die Angst davor zu überwinden, was weiter geschehen soll, wer noch verhaftet wird, was die aus ihm herausprügeln werden, die Sorgen um die Familie zu unterdrücken (der Sohn war 17 und die Tochter, zu deren Geburtstag er verhaftet wurde, gerade 19 Jahre alt geworden). Man musste die gesamte Kraft mobilisieren, sich an die Unumgänglichkeit des Sieges festkrallen, dem Trotz seinen vollen Lauf lassen. Es ist kaum vorstellbar, wie man unter den Haftbedingungen komponiert, ohne Klavier, Notenpapier und Schreibgerät. Der bewundernswerte Rudolf Karel hat alle Beschwernisse bewältigt. Er schickte die auf allen möglichen Papierfetzen (einschließlich Klopapier) geschriebenen Notenaufzeichnungen an seine Familie. Sie wurden von dem tschechischen Aufseher Müller hinausgeschmuggelt, dessen Hilfeleistungen für die Häftlinge später verraten wurden und er selbst von der Gestapo verhaftet und zu Tode gequält wurde.
Der Tochter Müllers ist die Pankrácká polka gewidmet. In der Gefängniszelle nr. 127 sind der Pankrácký pochod [Marsch], Pankrácký valčík [Walzer], das Lied Žena - moje štěstí [Die Frau – mein Glück] und das Nonet entstanden, die mit Erfolg im Ausland aufgeführt wurden.
Mit dem Text des jungen Mithäftlings Stanislav Falta komponierte er noch das Lied Píseň svobody [Lied der Freiheit]. An der angefangenen Oper Zkrocení zlé ženy [Der widerspenstigen Zähmung] konnte Rudolf Karel nicht weiterarbeiten, denn es fehlte ihm sein Text. Er fing also mit einer neuen Oper an - Tři vlasy Děda
[wörtlich etwa „Drei goldene Haare des Väterchen Allwissend“; es handelt sich um ein sehr beliebtes künstlerisches Märchen von Karel Jaromír Erben [1811-1870, tschechischer Folkloresammler und –herausgeber; wenn ich mich richtig erinnere, ist Väterchen Allwissend eigentlich die Sonne, und wenn er/sie am Abend müde nach Hause zurückkehrt, reißt ihm seine Mutter drei von seinen goldenen Haaren aus, um sie dem Protagonisten des Märchens zu schenken, der wiederum sie einem bösen Zauberer mitbringen muss, um damit eine verwunschene Prinzessin befreien zu können, oder so ähnlich. P.A.]. Das Libretto zu dem Märchen hat er selbst verfasst.

Die schwer lastende Atmosphäre des Gefängnisses von Pankrác vermochte nicht seinen Glauben an das Leben zu brechen, an den Sieg und daran, dass er daheim zurück in der Straße Na Cibulce (Praha 5) die angefangenen Werke vollenden würde. Der 7.Februar 1945 war ein schwarzer Tag für Rudolf Karel. Er ist in die Kleine Festung von Theresienstadt deportiert worden, 64 Jahre alt, krank und geschwächt. Er komponiert aber auch hier. Es sind kleinere Kompositionen, die leider bis auf den Terezínský pochod (Pochod heftlinků) [Theresienstädter Marsch (Der Marsch der Häftlinge)] verlorengegangen sind. Die Lebensbedingungen in der Kleinen Festung waren mörderisch, überfüllte Zellen, hygienische Einrichtungen gleich Null, zum Ernähren eine schwarze Flüssigkeit genannt Kaffee und angebratener ranziger Kartoffelbrei. Rudolf Karel wurde von Tag zu Tag mehr und mehr ausgemergelt. Es half auch die aufopfernde Pflege der tschechischen Ärzte – allen voran des Prof. Jiří Syllaba – nicht mehr. Rudolf Karel starb in Folge der mörderisch böswilligen Entscheidung von Rojko über die sogenannte Entlausungsaktion, bei der die kranken Häftlinge hinausgetragen und dem Frost ausgesetzt worden sind. Bereits am Tag darauf – dem 6. März 1945 - gab es auf der Zelle des IV. Hofes neun Tote. Unter ihnen war auch Rudolf Karel.


Den Text verfasste Frau Marie Tykalová, Mitglied des ČSBS [„Český svaz bojovníků za svobodu“, „Tschechischer Verband der Freiheitskämpfer“, eine patriotische Organisation der Teilnehmer am Widerstand - im Protektorat wie im Exil - gegen die Hitler-Okkupation und deren Nachfahren], der ich hiermit für ihr Einverständnis mit der Veröffentlichung danke.

Text: Radek Havelka  havelka@valka.cz             http://www.valka.cz/clanek_11989.html Übersetzung: Peter Ambros (ambros.peter65@gmail.com)